Reza Deghati (F)

Das Interview (deutsche Fragen, Farsi)


Deutsche Zusammenfassung

Was war das erste Bild, das Sie von den Ereignissen nach der Präsidentenwahl zu sehen bekamen?‬
Zwei Bilder beeindruckten mich sehr. Ein Bild der Massendemonstration mit Millionen von Menschen. Das zweite Bild war das einer Frau, die von Sicherheitskräften verprügelt wurde. Diese Bilder zeigten, was im Iran nach der Präsidentenwahl vor sich ging. Sie stellten die beide Seiten dar: Den Protest der Iraner und die Antwort der Regierung auf diese Protestbewegung. Die brutale Reaktion der Regierung auf gerechte Forderungen der Demonstranten. Ich wünschte mir, ich wäre dort gewesen und hätte diese Ereignisse fotografieren können. Die Szenen haben mich an die Ereignisse während und nach der Revolution vor dreißig Jahren erinnert.

In der Zeit, in der die Regierung ausländische Reporter und Fotografen aus dem Land auswies, nahmen zahlreiche Iraner Filme und Fotos mit ihren Mobiltelefonen auf. Was halten Sie als ein Fotograf, der an verschiedenen Orten in vielen schwierigen Situationen arbeitete‬, von der Zuverlässigkeit solcher Dokumente?
Diese Bilder spiegelten die Ereignisse wider. Aufgrund meiner Arbeit habe ich viele derartige Situationen miterlebt und kann daher bestätigen, dass diese Bilder mitten aus den Ereignissen kamen. Sie waren echt. Seit Jahren wird darüber diskutiert, dass Bürger zu Reportern werden. Nun wurde dies zum ersten Mal in der Geschichte der modernen Medien zur Wirklichkeit. Das war eine Innovation. Die Regierung selbst hat sie durch die Ausweisung der ausländischen Reporter aus dem Land ausgelöst.

Während der Ereignisse nach der Wahl wurden weit über 100 Menschen getötet. Neda, als eine unter ihnen, wurde durch die Filmaufnahme ihres Todes zur Symbolfigur der Protestbewegung. Auch Sie haben von den Bildern in Ihrem Projekt „Wir alle sind Neda“ Gebrauch gemacht. Können Sie uns erklären, wie es zu dieser Ikonisierung der Bilder kam?
Das war ein natürlicher Vorgang. Von einem Ereignis kann es tausend Bilder geben, aber nur ein Bild bleibt in Erinnerung. Das war auch im Vietnamkrieg so. Der Krieg hat sieben, acht Jahre gedauert, und kostete auf beiden Seiten zahlreiche Opfer. Aber es rückt immer ein Bild in den Vordergrund. Es ist das Bild von der Erschießung eines Vietkongs. Von unseren großen Dichtern wie Ferdossie und Saedie kennt das Volk auch nur ein oder zwei Texte. Der Fall Neda ist ein ähnliches Phänomen. Sie war eine Frau und sie war jung. Das war wichtig und trug dazu bei, dass sie zur Ikone der Protestbewegung wurde. Die Geschichte von Neda steht stellvertretend für die Geschichten von zahlreichen anderen Menschen, die im Iran verprügelt, verhaftet, gefoltert und ermordet wurden.

Die Bilder, welche die ausländischen Medien nach der „Islamischen Revolution“ von 1979 über den Iran und insbesondere über die Frauen im Iran verbreiteten, zeigten oft eine traditionelle und religiöse Gesellschaft. Wir haben gesehen, dass die Frauen in der „Grünen Bewegung“ eine wichtige Rolle spielten. Das Bild dieser Frauen in den Weltmedien war ein ganz anderes als das der „Islamischen Revolution“ von 1979. Es stellt sich die Frage, ob die Medien nun ein anderes Bild der iranischen Frauen transportieren?‬
Die Rolle der Medien ist heute bedeutsam. Sie können mit Bildern die öffentliche Meinung beeinflussen oder sogar bestimmen. Nach der „Islamischen Revolution“ war der Schleierzwang für die Frauen die wichtigste Veränderung im Iran. Und es war folgerichtig, dass die verschleierte Frau in den internationalen Medien zum Symbol der neuen Gesellschaft nach dieser Revolution wurde. Nun haben die Frauen im Iran die Verschleierung raffiniert umgegangen. Aber das ist nicht das Wichtigste für sie. Wichtig ist, dass sie nun eine größere Rolle in der Gesellschaft spielen, dass sie die Mehrheit der Studierenden bilden und viele andere Forderungen haben. Was die Medien hier präsentieren, ist nicht das, worauf ich mich stütze. Man kann ihnen nicht immer vertrauen.

Angesichts der Tatsache, dass eine Fülle von Fotos und Bildern von Iranern mit dem Mobiltelefon oder einfachen Fotoapparaten aufgenommen wurden, fragt man sich, ob diese Bilder auch einen ästhetischen Wert haben?‬
Für mich waren diese Bilder schon von Anfang an ästhetisch ambitioniert. Es spielt keine Rolle, dass sie nicht von professionellen Fotografen aufgenommen worden waren. Ich habe vor, in einem Projekt eine Bilderserie mit dem Mobiltelefon zu fotografieren. Ich möchte zeigen, dass nicht nur der Fotoapparat von Bedeutung ist.

Einige Personen, die auf Fotos zu sehen waren, wurden vom iranischen Geheimdienst identifiziert und gerieten in Bedrängnis. Was soll z.B. ein Pressefotograf in solchen Fällen tun? Beim Fotowettbewerb „World Press Photo“ gewannen Fotografien aus dem Iran einen ersten und einen zweiten. Preis. Der französische Fotograf und Preisträger Olivier Laban-Mattei sprach ein einem Interview von den Problemen, welche die Betroffenen aufgrund ihrer Identifizierung über seine Fotos zu spüren bekamen. Wo liegt die Grenze zwischen Dokumentation und Voyerismus?‬
Für professionelle Fotografen steht das Festhalten der Ereignisse im Vordergrund. Es ist unvermeidbar, dass hier und da das Sujet in Gefahr gerät. Überall in der Welt werden Demonstranten von Machthabern fotografiert. Sicher stellt sich das Problem, dass das Sujet identifiziert werden könnte. Aber man sollte dem nicht zu viel Gewicht geben. Ich würde sagen, dass viele Menschen sich zu wichtig nehmen, sobald fotografiert wird. Und wenn Sie unterwegs überfallen werden, dann wünschen Sie sich, dass andere sich in Ihre Angelegenheit einmischen. Der Fotograf mischt sich in Angelegenheiten ein, indem er sie dokumentiert. Er folgt dem Hilferuf der Betroffenen. Ich selber habe in guten wie in schlechten Situationen meine eigene Verletzung riskiert, um ein gewünschtes Bild aufzunehmen.

Möchten Sie noch Aspekt ergänzen?
Es ist heute von großer Bedeutung, dass Reporter und Fotografen überall auf der Welt frei arbeiten können. Wenn wir nicht sensibel auf die Widrigkeiten in anderen Ländern reagieren, werden diese Widrigkeiten irgendwann auch uns selbst zum Verhängnis werden.
Es war sehr hilfreich, dass während der Ereignisse nach der Präsidentenwahl 2009 im Iran viele Leute von hier kleine Kameras in das Land geschickt haben. Das hat den Iranern ermöglicht, immer wieder neue Bilder von ihren Protesten zu fotografieren und sie ins Ausland zu schicken.
Bertolt Brecht hat diese Thematik in einem von seinen Texten behandelt: Eine Widrigkeit, die dem anderen geschieht, geht uns an.

„Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.“

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Reza Deghati, Frankreich

Deghati wurde 1952 im iranischen Tabriz geboren und studierte Architektur. Durch seine kritische Haltung verbrachte er mehrere Jahre im Gefängnis in Iran und ging 1981 ins Exil. Heute ist Reza Deghati ein weltweit tätiger und anerkannter Fotojournalist mit vielen Preisen und Beiträgen in vielen internationalen Magazinen wie etwa Newsweek, Time Magazine, National Geographic Magazine, GEO. Bei seinen Fotoarbeiten dokumentiert er immer wieder die Situation der lokalen Bevölkerung und soziale Missstände.
1991 gründete er mit seinem Bruder die Webistan Photo Agency. Daneben lehrt er an Universitäten von Stanford bis an der Pariser Sorbonne, von Peking bis Istanbul und hält Vorträge, etwa bei der UNESCO und der National Geographic Society. 1990/91 war Reza als Berater für die Vereinten Nationen in Afghanistan im Rahmen humanitärer Hilfe. Die dabei gewonnenen Eindrücke führten 2001 zur Gründung von AIENEH („Spiegel“), welche das Ziel hat, besonders für Kinder und Frauen deren Bildungschancen zu erhöhen. 1996 erhielt er den Hoffnungspreis der UNICEF für seinen Einsatz in ruandischen Flüchtlingslagern.

http://www.webistan.com
www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=98202970

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