Zum Projekt

Im Juni 2009 veränderte sich der Alltag meiner beiden KollegInnen, die aus dem Iran stammen. Obwohl sie schon seit Ende der 1970er Jahre in Österreich leben, verbrachten sie damals im Juni 2009 oftmals viele Stunden täglich vor dem Computer und zogen sich die Fotos von Demonstrationen auf Facebook rein, die Videos von sterbenden jungen StudentInnen auf Youtube, „Echtzeitnachrichten“ im Sekundentakt auf Twitter. Später dann forwardeten sie mir Folterberichte und wir diskutierten über Nachrichten, die sie direkt aus dem Iran bekamen: ein Freund, der bei einer Demonstration verletzt wurde, der Bericht einer jungen Studentin, die inhaftiert wurde und über Folterungen und Vergewaltigungen erzählte. Im Chats erzählten ihnen ihre Bekannten, dass sie verzweifelt sind. Gute Nachrichten kamen von einem Freund, dem es gelang, illegal in den Westen zu flüchten.

Ohne die vielen Gespräche mit diesen beiden (deren Namen ich besser nicht nenne) wäre für mich das „Geschehen“ (ein abstrakter Ausdruck für Medienberichte über etwas, das – ohne persönlichen Bezug zu den Beteiligten – gleich real wirkt wie alle andere Medienberichte über das tägliche Sterben auf der Welt) im Iran vermutlich relativ spurlos an mir vorüber-gegangen. Doch so begann auch ich stundenlang Live-Aufnahmen und AugenzeugInnenberichte in mich aufzunehmen. Aber es blieb schwierig, etwa meine teilnehmende Beobachtung am medial dokumentierten Sterben, in meinen Alltag hier in Österreich integrieren. Noch schwieriger gestaltete es sich, meine Umwelt hier davon zu „überzeugen“, dass im Iran Menschen getötet, verletzt oder verfolgt werden, manche für uns mit Namen wie Neda, viele namenlos. Übrig blieb eine Ohnmacht und Fremdheit – fremd gegenüber den Menschen im Iran und fremd gegenüber den Menschen um mich herum, welche meine Entrüstungen größtenteils mit distanzierter Unbeteiligtheit zur Kenntnis nahmen.

Als Michael Jackson im Juli 2009 die Bilderflut aus dem Iran in unseren Medien abrupt beendete, konnte ich aufhören, die Medienberichte aus den Zeitungen herauszureißen. Außerdem war es Sommer, Zeit für Urlaub und Urlaubsfotos.

Dennoch gingen mir diese Bilder aus dem Iran nicht aus dem Kopf und ich wollte etwas machen, nicht nur tatenlos ein passiver Medienkonsument sein.

Zuerst plante ich – angesichts dieser vielen Images – eine Fotoausstellung “Green Iran images” zur Demokratiebewegung im Iran. Aber nachdem ich mitbekommen habe, dass eine große Anzahl von FotografInnen aber auch Abgebildete aufgrund dieser Bilder inhaftiert oder verfolgt wurden, habe ich die Idee fallen gelassen. Dann plante ich ein öffentliches Symposium. Nach einer langen Diskussion und Berichten über Bespitzelungen von AktivistInnen in Europa durch HandlangerInnen des iranischen Regimes nahm ich schließlich auch davon Abstand.

Heraus gekommen ist ein Projekt, das bei internationalen ExpertInnen nachfragt, was das denn nun war, diese „Twitter“-Revolution? Und wie viel die IranerInnen davon haben, heute im Jahr 2010, immer noch leidend unter dem äußerst effektiv arbeitenden repressiven iranischen Regime.

Und es ist der bewusste Versuch, bei aller Parteilichkeit, Sympathie und Empathie mit der iranischen BürgerInnenrechtsbewegung, der verführerischen Ästhetik „revolutionärer“ Straßenschlachtbilder möglichst zu entkommen und daher den Fokus auf jene zu legen, die längst wieder aus dem Bilderrahmen der kollektiven Erinnerung heraus gefallen sind: jene in die Hunderten gehenden Todesopfer, die damals – vor etwas mehr oder weniger als einem Jahr und einige Tausend Kilometer entfernt von uns – einfach ermordet wurden.

Ist nur noch zu klären, warum das Projekt nun in Graz und nicht in meiner Heimatstadt stattfindet. Das ist recht einfach erklärt. Als ich 1990 zum kurzen Krieg in Jugoslawien an der Grenze zur Steiermark arbeitete, fiel mir das Merve-Büchlein „Von der Bürokratie zur Telekratie“ in die Hände. Die einzigen österreichischen Beiträge darin stammen vom Herausgeber Peter Weibel und von Richard Kriesche.
Bei einem Besuch in Graz erklärte mir zudem einmal ein Freund, dass es bereits vor Jahrzehnten Bestrebungen gab, dem Grazer Forum Stadtpark die Adresse „Platz der Menschenrechte 1“ zu geben.
Wo passt daher so ein Projekt besser hin, als in eine interdisziplinäre Kunsteinrichtung, die als einziges Gebäude in der einzigen österreichischen Menschenrechtsstadt am Platz der Menschenrechte liegt und somit das heimliche österreichische Epizentrum der Menschenrechtsbewegung darstellt.

Johann Herrach, Wien (Österreich)

 

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